-12 S 338/97-
-20 C 271/97- (AG Neuwied) |
Verkündet am
24. Februar
1999
Van Weel,
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
des
Amtsgerichts
|
Landgericht Koblenz
Im Namen des Volkes
Urteil
(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO)In dem Rechtsstreit
Beklagte und Berufungsklägerin,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtgerichts Neuwied vom 04. August 1997 wird zurückgewiesen
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Berufung der Beklagten gegen das Urteile des Amtgerichts Neuwied vom 04. August 1997 hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat die Beklagte zu Recht und mit zutreffender Begründung zur Zahlung der in den Zeiträumen vom 04. April 1995 bis zum 06. Juni 1995 und vom 02. August 1995 bis zum 01. September 1995 angefallenen Verbindungsentgelte nebst Telefonmiete für ihren Zweitanschluß [Rufnummer] verurteilt, indem der zuvor ergangene Vollstreckungsbeschei in Höhe von 4.038,15 DM aufrechterhalten wurde. Auf die eingehenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils wird zur weiteren Darstellung Bezug genommen.
Das Berufungsvorbringen bietet auch nach der von der Kammer ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme keinen Anlaß zu einer Abänderung dieser Entscheidung.
Der Rechtsauffassung des Amtsgerichts, wonach ein Anscheinsbeweis für die Richtigkeit einer Telefonrechnung der Telekom spreche, sofern kein Anhaltspunkt für einen technischen Fehler der Gebührenerfassung bestehe, ist zu folgen. Diese in der Praxis vorherrschende Rechstansicht hat die Kammer bereits früher vertreten (vgl. zuletzt Urteil vom 08. April 1998 - 12 S 355/97 -, offengelassen im Urteil vom 19. Juni 1997 - 12 S 258/95); sie hält hieran entgegen der Ansicht der 14. Zivilkammer des hiesigen Landgerichts (Urteil vom 09. Mai 1997 - 14 S 304/96 -) fest, weil die Klägerin zumindest in der Vergangenheit bis zur -inzwischen flächendeckenden - Umstellung auf die digitale Vermittlungstechnik bereits aus technischen Gründen nicht in der Lage war, für jeden Telefonkunden einen Einzelverbindungsnachweis zu führen und damit von vornherein außerstande war, dem denkbaren und in Einzelfällen mißbräuchlichen Einwand des Kunden, die berechneten Einheiten nicht "vertelefoniert" zu haben, wirksam zu begegnen. Hiernach bietet allein die Annahme des Anscheinsbeweises einen angemessenen Interessenausgleich im Rahmen des bestehenden Vertragsverhältnisses, wobei es dem Telefonkunden obliegt, den Anscheinsbeweis dadurch zu erschüttern, daß er die ernstliche Möglichkeit eines abweichenden Geschensablaufs darlegt und ggf. nachweist, die in Rechnung gestellten Telekommunikationsdienstleistungen nicht in Anspruch genommen zu haben. Vermag er keine konkreten Hinweise auf eine Fremdaufschaltung oder anderweitige Unregelmäßigkeiten darzulegen und wendet er daher nur allgemein technische Mängel der Gebührenerfassung ein oder beruft er sich abstrakt auf Manipulationsmöglichkeiten unbefugter Dritter, so kommen die Beweisregeln des Anscheinsbeweises zugunsten der Klägerin dann zu Anwendung, wenn das daraufhin von ihr durchgeführte interne Prüfverfahren (insbesondere die sog. "Vollprüfung") keinerlei technische Fehlerquellen aufgedeckt hat (vgl. LG Wuppertal, NJW-RR 1997, 701 m.w.N.). Hier hat die von der Klägerin durchgeführte Vollprüfung in der Zeit vom 04. April 1995 bis zum 26. September 1995 keinerlei zählbeeinflussende Fehler ergeben, wie der für sie tätig gewordene Zeuge Steffen ausdrücklich bestätigt hat.
Der Anscheinsbeweis wird hiernach auch nicht allein aufgrund eines aufgetretenen auffälligen Gebührensprungs entkräftet; vielmehr müssen hierzu nicht nur theoretisch denkbare, sondern im konkreten Fall nachweisbare Umstände und Tatsachen darauf hindeuten, daß der Kausalverlauf nicht dem Üblichen entspricht, insbesondere konkrete Anzeichen dafür bestehen, daß entweder Fehler der Gebührenerfassung oder aber eine unlautere Einflußnahme Dritter vorliegt (vgl. z. B. LG Saarbrücken, NJW-RR 1996, 894; LG München I, NJW-RR 1996, 893; LG Weiden, NJW-RR 1995. 1278; AG Leipzig, NJW-RR 1994, 1395; AG Frankfurt/M., DWW 1994, 187)
Den somit hier für die Richtigkeit der Abrechnung der Klägerin sprechenden Anscheinsbeweis hat die Beklagte in erster Instanz nicht zu erschüttern vermocht. Hierzu ist auf die eingehenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des amtsgerichtlichen Urteils, denen sich die Kammer in vollem Umfang anschließt und die einer Ergänzung nicht bedürfen, Bezug zu nehmen. Besonders hervorzuheben bleiben die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zum Ergebnis der Zählerverleichsschaltung für den 15. August 1995, zu den Zeiträumen, in denen kostenintensive Gespräche geführt wurden (allesamt zu Zeiten, in denen die Beklagte abwesend war) und zur Würdigung der von der Zeugin Bornwasser wiedergegebenen Gesprächsnotiz. Denkbare Manipulationen an der für Unbefugte zugänglichen Verteilerdose VVD 2 können sich nach den glaubhaften Bekundungen des zeugen Steffen keinesfalls auf den Anschluß der Beklagten ausgewirkt haben, so daß dies allein den Anscheinsbeweis (anders hingegen die Fallgestaltung in LG Saarbrücken, NJW-RR 1998, 1367) noch nicht zu entkräften vermag.
Entgegen der Ansicht der Beklagten kann den Aussagen ihrer als Zeugen vernommenen beiden Söhne ihres Lebensgefährten Krechel nur ein sehr begrenzter Beweiswert beigemessen werden. Alles deutet darauf hin, daß die 0190-Servicenummern und Auslandsverbindungen von einem berechtigten Benutzer aus diesem Personenkreis angewählt worden sind. Es entspricht aber allgemeiner Erfahrung, daß derjenige, der heimlich und in Abwesenheit des Anschlußinhabers in großem Umfang auf dessen Kosten Telefongespräche führt, dies nach Kräften zu verbergen versucht. Dies fällt verständlicherweise dann um so leichter, wenn das Risiko, wegen einer - diese Telefonate leugnenden - Falschaussage belangt zu werden, geradezu vernachlässigt werden kann. Genau dies ist der Fall, wenn von mehreren berechtigten Benutzern des Telefonanschlusses jeder für sich als Verursacher des erhöhten Gebührenaufkommens in Betracht kommen kann und eine Ermittlung des Verantwortlichen aus diesem Kreis ausgeschlossen erscheint.
Der Beweis des ersten Anscheins ist auch nicht durch die Aussage der in der Berufungsinstanz vernommenen Zeugin Krischer, der damaligen Freundin des Zeugen Markus Oberlies, entkräftet. Die Kammer ist nach dem Ergebnis ihrer Bekundungen nicht davon überzeugt, daß sie aus eigenem Wissen ausreichend zuverlässig ausschließen kann, daß die in Rede stehenden Telefongespräche von dem Zweitanschluß der Beklagten geführt worden sind. Zwar ist nach ihrer Aussage und den Erörterungen im Beweisaufnahmetermin wohl davon auszugehen, daß die Telefonate in der (nicht abgeschlossenen) Wohnung des Zeugen Markus stattgefunden haben müssen. Das dort stehende Telefon konnte über den Zweitanschluß mit einer drei Meter langen Anschlußschnur nur in dieser Wohnung betrieben werden. Die Zeugin hat auch bekundet, daß sie in den letzten drei bis vier Jahren sehr häufig "eigentlich immer" bei Markus Oberlies übernachtet habe, so daß an sich zu erwarten gewesen wäre, daß zumindest einzelne längere Anrufe in ihrer Gegenwart hätten geführt worden sein müssen. Andererseits steht die Aussage aber in auffälligem Gegensatz zu den Angaben des Zeugen Markus Oberlies, wonach seine feste Freundin zu dieser zeit nur "hin und wieder" bei ihm übernachtet habe. In wesentlichen Punkten blieb die Aussage der Zeugin betont unverbindlich. Genauere Angaben zum üblichen Tagesablauf konnte sie nicht machen und war noch nicht einmal in der Lage sicher anzugeben, ob und wann sie im Jahre 1995 mit Markus Oberlies einen gemeinsamen Urlaub verbracht habe. Es erscheint aber höchst ungewöhnlich, daß solche Urlaubserinnerungen bereits nach drei Jahren völlig in Vergessenheit geraten. Zu einer näheren Eingrenzung ihrer Aufenthalte bei Markus Oberlies, die z. B. dann möglich gewesen wären, wenn hierüber Tagebuch oder sonstige Aufzeichnungen geführt worden wären, war sie außerstande. Dies weckt gleichzeitig Zweifel daran, wieso die Beklagte in der Lage war, die Zeugin in der Berufungsbegründung zu ganz bestimmten Daten zu benennen. Die ist zumindest nicht erläutert worden.
Die Klägerin ist auch nicht wegen etwaiger Sittenwidrigkeit einzelner über ihr Netz vermittelter Telefondienstleistungen (§ 138 BGB) an einer Durchsetzung ihrer Gebührenforderung gehindert. Dies kann im Anschluß an das Urteil des BGH vom 09. Juni 1998 - XI ZR 192/97 - zur Sittenwidrigkeit von Telefonsexverträgen (MDR 1998, 1151) zwar in Einzelfällen (z. B. typischen "Livesexangeboten") zu bejahen sein, wie im vorangegangenem Beschluß der Kammer vom 18. November 1998 angedeutet worden ist.
Weil ein Großteil der unter den 0190-Rufnummern zusammengefaßten Serviceangebote zweifelsfrei keine sittenwidrigen Inhalte aufweist, ließen sich die Rechtsfolgen des § 138 BGB allenfalls dann feststellen, wenn feststünde, welche Serviceleistungen von der Gebührenforderung der Klägerin erfaßt sind. Die ist aber allein aufgrund der vorliegenden "Nachforschungslisten für Verbindungsaufkommen", in denen die drei letzten Ziffern der Rufnummern jeweils unerkenntlich gemacht sind, nicht möglich. Nach den in der letzten mündlichen Verhandlung erörterten weiteren Nachforschungen der Klägerin handelt es bei der weit überwiegenden Zahl der hier in Anspruch genommenen Dienstleistungen um sog. Chat- und Datingsysteme. Hier stellt der jeweilige Anbieter nur eine technische "Kommunikationsplattform" zur Verfügung. Solche Dienstleistungen zählen zweifelsfrei nicht zum Kreis der Angebote mit sittenwidrigem Inhalt; ebenso wenig läßt sich dies für diejenigen Auslandsverbindungen feststellen, von deren Inhalten die Klägerin notwendigerweise keine Kenntnis haben kann.
Die verbleibende Unsicherheit geht zu Lasten der Beklagten. Weil sie sich auf die für sie günstige Rechtsfolge der Sittenwidrigkeit beruft, muß sie die Details der Verbindungsdaten offenlegen. Hierzu ist sie in ihrer prozessualen Situation, in der sie bestreitet, daß die in Rede stehenden Gespräche von ihrem Anschluß aus geführt wurden nicht bereit und sehr wahrscheinlich auch nicht in der Lage.
Damit war ihre Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.038,15 DM festgestzt.