Geschäfts-Nr.:
303 S 11/98 6 C 19/97 |
Verkündet am 18. September 1998
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Landgericht Hamburg
URTEIL
Im Namen des Volkes
In der Sache
Kläger/Berufungsbeklagter
Beklagte/Berufungsklägerin
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ***
den Richter am Landgericht ***
den Richter am Landgericht ***
für Recht:
- Der Kläger und Berufungsbeklagte wird auf die Widerklage der Beklagten und Berufungsklägerin hin unter Abänderung des am 21.1.1998 verkündeten Urteiles des Amtsgerichtes Hamburg (Az. 6 C 19/97) sowie unter Abweisung der Widerklage im übrigen verurteilt, an die Beklagte DM 1.596,03 (in Worten: eintausendfünfhundertsechsundneunzig 03/100 Deutsche Mark) nebst 5,5 % Zinsen p. a. hierauf seit dem 18.2.1997 zu zahlen.
- Der Kläger und Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.
Von der Abfassung eines Tatbestandes wird nach §§ 313a Abs. 1 S. 1, 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Nach dem gegebenen Sachverhalt ist davon auzugehen, daß die fraglichen Telephonate vom Anschluß des Klägers und Widerbeklagten in diesem zurechenbarer Weise geführt worden sind (1.); entgegen der Meinung des Amtsgerichts steht § 138 BGB der Forderung der Beklagten und Widerklägerin nicht entgegen (2).
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Der Beweis des ersten Anscheines spricht dafür, daß vom Anschlusse des Klägers aus die mit der Widerklage geltend gemachten Gebühren - durch ihn oder durch Dritte, die Zugang zu seiner Wohnung hatten - vertelephoniert worden sind (a.), wofür dann der Kläger einzustehen hat; den Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht entkräftet (b).
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Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer, die weiterhin aufrechterhalten wird und den Parteien auch bekannt ist, spricht ein Anscheinsbeweis für die Richtigkeit der Abrechnungen der Telekom, wenn eine Vollprüfung des Anschlusses und ein Zählvergleichsprotokoll keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten ergeben haben und auch vor Ort keine Manipulationen (an Schaltkästen etc.) ersichtlich sind; die neue TKV 1995 legt nach Auffassung der Kammer keine andere Beurteilung nahe. Es kann zur Begründung etwa auf das Urteil der Kammer vom 13.12.1996 (303 0 271/96) verwiesen werden, das als Anlage B 12 (Bl. 82 ff d. A.) Eingang in den Rechtsstreit gefunden hat; neue Umstände, die eine andere Beurteilung nahelegen, sind weder ersichtlich noch etwa von Klägerseite vorgetragen worden.
Die so festgelegten Voraussetzungen für die Annahme eines Anscheinsbeweises sind vorliegend sogar übererfüllt. Die Beklagte hat zahlreiche umfängliche Prüfungen vorgenommen, ohne irgendwelche Hinweise auf Fremdeinwirkung o. ä. zu entdecken. Hinsichtlich der Vollprüfungen und Vergleichsschaltungen sei nur auf Anlage B 4 (Bl. 47 ff d. A.), Anlage B 30 (Bl. 239 ff d. A.), Anlage B 31 (Bl. 292 ff d. A.), B 7 (Bl. 66 ff d. A.) und B 9 (Bl. 74 ff d. A.) verwiesen. Auch Untersuchungen vor Ort (etwa Anlage B 6, Bl. 65 d. A.; Anlage B 5, Bl. 63 f. d.A.) ergaben lediglich, daß alles verplombt und ohne eine Spur von Fremdeinwirkung war. Substantiiertes Bestreiten des Klägers liegt insoweit nicht vor.
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Spricht danach der Beweis des ersten Anscheines für die Korrektheit der Berechnungen der Beklagten, so hat der Kläger diesen Anscheinsbeweis auch nicht zu erschüttern vermocht. Soweit er hierzu vorträgt, er und seine Lebensgefährtin seien verschiedentlich zur Zeit in Rechnung gestellter Anrufe nicht im Hause gewesen, Dritte hätten keinen Zugang, ist dieses Vorbringen unplausibel, da sich der Kläger mit den hierzu bereits erstinstanzlich (S. 2 f des Schriftsatzes der Beklagten vom 12.11.1997, Bl. 289 f d. A.) vorgebrachten, ins einzelne gehenden erheblichen Einwendungen der Beklagten nicht auseinandergesetzt hat. Die Beklagte hat dargelegt, daß zum einen unwidersprochen dargelegt, daß in einer Zeit, in denen angeblich niemand beim Kläger Zuhause war, dort ein eingehendes Gespräch angenommen worden ist; sie hat zum anderen dargelegt, daß zu anderer Zeit unmittelbar vor und unmittelbar nach behaupteter Abwesenheit des Klägers und seiner Lebensgefährtin dieselbe Nummer angerufen wurde. Daß es ferner höchst unwahrscheinlich ist, daß sich jemand aufschaltet, um Ortsgespräche zu führen, wie das wiederholt während behaupteter Abwesenheit der Wohnungsinhaber geschehen ist, liegt auf der Hand. Auch in anderer Hinsicht weist das klägerische Vorbringen insoweit Ungereimheiten auf, auf die die Beklagte hingewiesen hat. Der Kläger hat sich hiermit nicht mehr auseinandergesetzt. Damit spricht überwiegendes dafür, daß - die Richtigkeit der klägerischen Behauptungen unterstellt - sehr wohl weitere Personen aus seinem Lebenskreis Zugang zu der Wohnung hatten (über Einbruchsspuren o. ä. ist nichts bekannt, auch ist ein z. T. mehrfach tägliches unbefugtes Eindringen über einen mehrmonatigen Zeitraum kaum vorstellbar). Dadurch, daß zumindest für gewisse Zeiträume der Argumentation des Klägers so der Boden entzogen ist, vermag diese insgesamt nichts mehr zu belegen, denn offenbar sind die Prämissen seiner Argumentation unrichtig.
Daß möglicherweise - die Beklagte hat hierzu erhebliches eingewendet - sonstige Störungen am Anschluß des Klägers vorgelegen haben mögen, ist ohne Relevanz; die vorgenommenen Untersuchungen haben in den maßgeblichen Punkten Manipulationsfreiheit ergeben.
Gegen das Vorbringen des Klägers - und damit im Sinne einer weiteren Kräftigung des Anscheinsbeweises - spricht zudem entgegen der klägerischen Meinung sehr wohl auch der Umstand, daß ständig nach "Sextelephonaten" dreistellige Ziffernkombinationen nachgewählt wurden; ein solches Geschehen ist sinnvoll nur damit zu erklären, daß jemand der den Apparat des Klägers benutzt, die geführten Telephonate verbergen wollte. Bei einer Aufschaltung von außen ergibt das Nachwählen keinerlei Sinn, weil der Anschlußinhaber keine Möglichkeit hätte, von seinem Apparat aus (der sich nur dort gewählte Ziffernfolgen merken kann) per Aufschaltung geführte Telephonate zu entdecken. Eine solche Möglichkeit bestünde nur über einen
Einzelverbindungsnachweis, vor dem den Aufschaltenden dann aber auch das Nachwählen nicht schützen könnte. Von daher verbleibt als einzige plausible Erklärung, daß der Kläger selbst und/oder Dritte von seinem Anschluß aus die Sextelephonate geführt und durch das Nachwählen ihr Tun zu tarnen versucht haben.
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Nach allem ist davon auszugehen, daß die Rechnungen der Beklagten grundsätzlich inhaltlich richtig sind und der Kläger für die geführten Telephonate auch zahlungspflichtig ist.
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Der so begründeten Zahlungsverpflichtung steht auch nicht etwa § 138 BGB entgegen, und zwar selbst dann nicht, wenn man gewillt wäre, unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung der Kammer zu dieser Frage (etwa LG Hamburg, NJW-RR 1997, 178 f) den Telephonsex im Anschluß an die jüngst ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu dieser Frage (BGH WM 1998, 1676) - die neue Gesichtspunkte nicht enthält - nunmehr für sittenwidrig zu erachten
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Dies folgt zum einen daraus, daß es an der für die Anwendung des § 138 BGB hier erforderlichen subjektiven Sittenwidrigkeit auf Seiten der Beklagten fehlt. Vorliegend handelt es sich - wenn überhaupt - um einen Fall des sittenwidrigen Verhaltens gegenüber der Allgemeinheit oder Dritten (in Abgrenzung zum sittenwidrigen Verhalten gegenüber dem Geschäftspartner), wie stets bei möglicher Sittenwidrigkeit im Zusammenhang mit der Sexualsphäre (zur Abgrenzung vgl. Heinrichs in Palandt, BGB 56. Aufl., München 1997, § 138 Rn 24, 40). In einem solchen Falle ist § 138 BGB nur anwendbar, wenn alle Beteiligten subjektiv sittenwidrig handeln (BGH NJW 1990, 568), d. h. die die Sittenwidrigkeit prägenden Umstände kennen oder sich ihnen grob fahrlässig verschließen (hierzu etwa BGHZ 10, 233).
Dies ist für die Beklagte nicht feststellbar Unstreitig dürfte sein, daß sie in Anbetracht der Vielzahl von 0190- 0180- und Auslandsnummern (Info-Dienste, "Hotlines" zu Fernsendungen, Vertriebsfirmen etc.) nicht im Einzelfall weiß, ob sich hinter einem bestimmten Nummernanbieter ein Sextelephon-Betreiber verbirgt, mithin keine positive Kenntnis von den maßgeblichen Umständen hat. Es ist ihr auch nicht - und schon gar nicht im Sinne einer groben Fahrlässigkeit - vorzuwerfen, daß sie sich die entsprechende Kenntnis nicht verschafft hat. Nachdem die Frage der Sittenwidrigkeit des Telephonsexes in Rechtsprechung und Literatur lange Zeit stark umstritten war, sich verschiedene Obergerichte gegen eine Sittenwidrigkeit ausgesprochen hatten etwa OLG Hamm NJW 95, 2797; OLG Stuttgart NJW 89, 2899; OLG Köln NJW-CoR 1998, 304; OLG Schleswig, Archiv PT 1997, 59 (61), war es der Beklagten nicht anzusinnen, in jedem Einzelfalle aufzuklären, ob sie mit einem Sex-Anbieter kontrahiert und gegebenenfalls den Vertragsschluß zu verweigern; vielmehr durfte sie sich, jedenfalls ohne grob fahrlässig zu handeln, auf den Standpunkt stellen, daß Sittenwidrigkeit nicht vorliege, und mußte sich nicht um Aufklärung bemühen, um sodann möglicherweise noch Rechtsstreitigkeiten mit abgewiesenen Anbietern führen zu müssen - dies umso weniger, als sie in der Vergangenheit in entsprechendem Zusammenhange gerichtlich angewiesen worden war, die Umstellung auf Handvermittlung zur Enttarnung von Sexanbietern rückgängig zu machen (vgl. LG Bonn, Urteil vom 18.2.1997, eingereicht Bl. 149 ff d. A.).
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Kann bereits danach Sittenwidrigkeit vorliegend nicht festgestellt werden, selbst wenn man Telephonsex als solchen für sittenwidrig halten möchte, so greift § 138 BGB weiterhin auch deshalb nicht ein, weil eine etwaige Sittenwidrigkeit des Telephonsexes jedenfalls nicht auf das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und den Telephonkunden durchschlüge. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen
Anerkannt ist, daß sich die Sittenwidrigkeit eines Rechts- oder Lebensverhältnisses nicht unbeschränkt auf alle damit in engerem oder weiterem Zusammenhänge stehenden Rechtsbeziehungen erstreckt (vgl. etwa BGH NJW-RR 88, 1379; NJW-RR 87, 999). Nicht jede Handlung, die die Ausführung einer sittenwidrigen Tätigkeit objektiv fördert, ist bereits deswegen sittenwidrig. Vielmehr muß die Förderung ihrer Art auch in einem solch engen Zusammenhang mit der sittenwidrigen Tätigkeit stehen, daß sie von deren Sittenwidrigkeit umfaßt wird. Das ist hier nicht der Fall.
Das Verhältnis der Beklagten zu ihren Telephonkunden beschränkt sich auf die Vermittlung
von Gesprächen; diese Vermittlung als solche ist rechtlich neutral und wird von der Sittenwidrigkeit der geführten Gespräche nicht berührt. So dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß ein Telephonat nicht etwa deshalb unter dem Gesichtspunkt des § 138 BGB gebührenfrei ist, weil darin ein Mord verabredet wird. Wenn Anrufer und Angerufener die Telephonverbindung zu sittenwidrigem Tun nützen, ohne daß die Telephongesellschaft davon Kenntnis hat, so ändert das nichts am Charakter der von der Beklagten angebotenen Dienstleistung. Der Schutzzweck der Norm des § 138 BGB reicht nicht soweit, daß er alle nötigen Hilfsgeschäfte umfaßt. Die Inanspruchnahme der Leistungen der Beklagten durch Telephonsex-Anbieter kann diese Leistung kein sittenwidriges Gepräge geben. Insofern ist der Fall ferner auch anders gelagert als derjenige, der der jüngsten BGH-Entscheidung zu diesem Thema WM 1998, 1676 (1678), in welcher die Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrages über § 139 BGB angenommen wurde, weil das Darlehen seiner von beiden Parteien intendierten Zweckrichtung nach das Telephonsexgeschäft fördern und ermöglichen sollte, zugrunde gelegen hat. Das dort vorhandene subjektive Element fehlt hier. Es handelt sich bei den Diensten der Beklagten lediglich um als solche wertneutrale Hilfsgeschäfte, die eben nicht der objektiven Förderung und Ermöglichung des Telephonsexes dienen sollen und daher auch nicht von einem eventuellen Unwerturteil erfaßt werden. Der vorliegende Fall ist daher eher vergleichbar mit denen des Bordellkaufes, der Zimmevermietung an Prostituierte oder der Bordellbelieferung (BGHZ 63, 365; BGH DnotZ 75, 93; BGH NJW 70, 1179; BGH NJW-RR 87, 999), in denen jeweils keine Erstreckung der Sittenwidrigkeit auf die an sich rechtlich neutralen Geschäfte, die lediglich im Zusammenhang mit sittenwidrigen Tun standen, angenommen wurde, solange nur das jeweils geforderte Entgelt nicht in einem auffälligen Mißverhältnis zur erbrachten Leistung stand. So liegt es hier, denn die für Telephonsex verlangten Entgelte halten sich jeweils vollständig im Rahmen dessen, was die Beklagte auch ansonsten für Gespräche zu 0190-Nummern oder ins Ausland in Rechnung stellt.
Nach alledem kommt Sittenwidrigkeit auch aus diesem Grunde nicht in Betracht.
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Die Hauptforderung der Beklagten und Widerklägerin, gegen deren rechnerische Richtigkeit nichts erinnert worden ist, erweist sich damit als vollumfänglich begründet. Ein Zinsanspruch ist in dem zuerkannten Umfange gemäß § 291 BGB gerechtfertigt ; für einen früheren Zinsbeginn hat die Widerklägerin nichts dargetan.
- Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO