XI ZR 334/97 |
Verkündet am 29. September 1998
Justizangestellte
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Bundesgerichtshof
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
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Revisionsklägerin und Beklagten
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Revisionsbeklagter und Kläger
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 5. November 1997 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
T a t b e s t a n d
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Auszahlung der Gewinne aus zwei Sportwetten. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte nimmt gewerbsmäßig Wetten auf den Ausgang sportlicher Veranstaltungen an. Dabei kann jeder Mitspieler unter Beachtung bestimmter Mindesteinsätze die Höhe seines Wetteinsatzes selbst bestimmen und unter zahlreichen verschiedenen Wettmöglichkeiten mit unterschiedlichen, von der Beklagten jeweils festgelegten Gewinnquoten wählen. Das Gewerbe der Beklagten wurde im Mai 1990 vom Rat des Bezirks Gera der damaligen DDR genehmigt.
Am Samstag, dem 18. Mai 1996, gab der Kläger telefonisch eine Fußballwette für die am 19. Mai 1996 endende 20. Spielwoche ab und übermittelte der Beklagten eine Telefax-Kopie eines von ihm unterschriebenen, aber nicht bankbestätigten Überweisungsauftrags über 1.350 DM vom gleichen Tage. Der Überweisungsauftrag wurde vom Kläger am darauffolgenden Montag zur Bank gegeben und führte in der Folgezeit zu einer entsprechenden Gutschrift auf dem Konto der Beklagten. Die Beklagte übersandte dem Kläger einen Kundenkonto-Auszug, in dem der Wetteinsatz von 1.350 DM sowie ein daraus resultierender Gewinn von 16.810 DM verbucht waren.
Am 29. Mai 1996 gab der Kläger telefonisch eine weitere Wette bei der Beklagten ab, die den Wetteinsatz von 2.450 DM vom Kundenkonto des Klägers abbuchte. Aus dieser Wette ergab sich ein Gewinn von 2.640 DM, den die Beklagte dem Kundenkonto des Klägers gutschrieb.
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Auszahlung seines Kontoguthabens in Höhe von 17.000 DM nebst Zinsen und beruft sich darauf, daß eine Mitarbeiterin der Beklagten ihm die Annahme seiner Wette vom 18. Mai 1996 mitgeteilt habe.
Die Beklagte macht unter Hinweis auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im folgenden: AGB) geltend, die Wette vom 18. Mai 1996 sei wegen verspäteter Überweisung des Wetteinsatzes ungültig. Außerdem vertritt sie die Ansicht, ihre Tätigkeit falle ungeachtet der staatlichen Genehmigung nicht unter § 763 BGB und alle von ihr abgeschlossenen Sportwetten seien daher nach § 762 Abs. 1 Satz 1 BGB unverbindlich.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht (OLG-Report Brandenburg/Dresden/Jena/Naumburg/Rostock 1998, 13) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Revision ist nicht begründet.
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Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Auszahlung der Gewinne bejaht. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte habe das Wettangebot des Klägers vom 18. Mai 1996 vorbehaltlos angenommen. Der Wirksamkeit des dadurch zustande gekommenen Vertrages stünden die AGB der Beklagten nicht entgegen, weil die Beklagte nicht bewiesen habe, daß diese dem Vertragsschluß zugrunde gelegen hätten. Der Wettvertrag sei nachträglich weder durch Rücktritt vom Vertrag noch durch Irrtumsanfechtung entfallen, weil der Beklagten kein Rücktrittsrecht zugestanden und ein rechtlich beachtlicher Irrtum nicht vorgelegen habe.
Aus den Wettverträgen ergäben sich rechtlich verbindliche Verpflichtungen der Beklagten gegenüber dem Kläger, weil § 762 BGB hier nicht zur Anwendung komme. Das folge daraus, daß die Betätigung der Beklagten als staatlich genehmigte Lotterie im Sinne des § 763 Satz 1 BGB anzusehen sei, hilfsweise daraus, daß anderenfalls zumindest § 4 Abs. 2 des Rennwett- und Lotteriegesetzes entsprechend anzuwenden sei.
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Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.
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Mit Recht ist das Berufungsgericht von der Wirksamkeit des Vertragsschlusses vom 18. Mai 1996 ausgegangen.
Die Beklagte hat nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts das Wettangebot des Klägers in Kenntnis der von ihm übermittelten Faxkopie seines nicht bankbestätigten Überweisungsauftrags vorbehaltlos angenommen. Sie kann sich deshalb schon wegen des Vorrangs individueller Vertragsabreden vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 4 AGBG) nicht darauf berufen, daß in ihren AGB Kreditwetten nicht zugelassen sind und bei Banküberweisungen die Kopie des quittierten Einzahlungsbelegs verlangt wird. Auf die Angriffe der Revision dagegen, daß das Berufungsgericht die Beklagte hinsichtlich der Frage der Einbeziehung ihrer AGB in den Wettvertrag als beweisfällig angesehen hat, kommt es daher nicht an. Im übrigen könnten diese Angriffe auch deshalb keinen Erfolg haben, weil die von der Revision als unstreitig hingestellten Behauptungen der Beklagten über die Versendung ihrer AGB an jeden Interessenten nach den bindenden (§§ 314, 523, 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 1998 - XI ZR 216/97, WM 1998, 1441, 1442 m.w.Nachw.; zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) Feststellungen des Berufungsgerichts für den hier interessierenden Fall vom Kläger bestritten worden sind.
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Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht eine nachträgliche Beseitigung des Wettvertrags vom 18. Mai 1996 durch Rücktritt vom Vertrag oder Anfechtung verneint. Den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts über das Fehlen eines Rücktrittsrechts der Beklagten setzt die Revision nichts entgegen. Auch eine wirksame Anfechtung des Wettvertrags läßt sich nicht feststellen. Dabei kann dahinstehen, ob in dem Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 23. Juni 1996 über die Stornierung der Wetten eine Anfechtungserklärung zu sehen ist und ob die Erklärung unverzüglich im Sinne des § 121 Abs. 1 BGB abgegeben wurde. Auf jeden Fall fehlt es nämlich an einer Berechtigung der Beklagten zur Anfechtung ihrer Annahmeerklärung. Zutreffend hat das Berufungsgericht einen Anfechtungsgrund nach § 119 Abs. 1 BGB deshalb verneint, weil die Beklagte, falls sie irrig davon ausgegangen sein sollte, der Kläger habe den Überweisungsträger bereits vor dem Telefonat mit ihr auf den Weg gebracht, nur einem unbeachtlichen Motivirrtum unterlegen wäre. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB kommt entgegen der Ansicht der Revision schon deshalb nicht in Betracht, weil die Revision keinen Vortrag der Beklagten zu einer etwaigen Täuschungsabsicht des Klägers aufgezeigt hat.
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Der erkennende Senat stimmt dem Berufungsgericht auch darin zu, daß die zwischen den Parteien zustande gekommenen Wettverträge nicht nach § 762 Abs. 1 Satz 1 BGB unverbindlich sind. Dabei kann offen bleiben, ob mit dem Berufungsgericht davon auszugehen ist, daß die genannten Verträge die Merkmale einer Lotterie im Sinne des § 763 Satz 1 BGB erfüllen und diese Vorschrift daher unmittelbar zur Anwendung kommt. Auch wenn das nicht der Fall sein sollte, müßte § 763 Satz 1 BGB jedenfalls entsprechend auf die staatlich genehmigte Tätigkeit der Beklagten Anwendung finden. Der Vorschrift liegt nämlich der Rechtsgedanke zugrunde, daß eine an sich unter § 762 BGB fallende Veranstaltung im Falle staatlicher Genehmigung von der zivilrechtlichen Unverbindlichkeit ausgenommen sein soll, weil das Genehmigungserfordernis eine staatliche Kontrolle des Spielwesens gewährleistet sowie den Spielbetrieb in geordnete Bahnen lenkt (MünchKomm/Habersack, 3. Aufl. BGB § 763 Rdn. 2; Jauernig/Vollkommer, 8. Aufl. BGB § 763 Rdn. 1) und weil das Vertrauen des Publikums auf die Wirksamkeit der Einzelverträge, die im Rahmen staatlich genehmigter Veranstaltungen geschlossen werden, schutzwürdig ist (Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II, S. 362). Dieser Rechtsgedanke rechtfertigt es, § 763 Satz 1 BGB über die dort ausdrücklich genannten Lotterien und Ausspielungen hinaus auf andere aleatorische Veranstaltungen entsprechend anzuwenden, wenn diese staatlich genehmigt worden sind (RGZ 93, 348, 349 f.; MünchKomm/Habersack aaO Rdn. 7; Jauernig/Vollkommer aaO Rdn. 3; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 521 f.; ebenso im Ergebnis für staatlich konzessionierte Spielbanken BGH, Urteil vom 4. Juli 1974 - III ZR 66/72, NJW 1974, 1821; a.M. Staudinger/Engel, 13. Bearb. BGB § 762 Rdn. 8). Der Wortlaut des § 763 Satz 1 BGB steht dem nicht entgegen, weil die Beschränkung der Vorschrift auf Lotterien und Ausspielungen nicht auf einer unterschiedlichen Bewertung dieser Veranstaltungen im Vergleich zu den anderen in § 762 BGB genannten Geschäften beruht, sondern allein darin ihren Grund hat, daß bei Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuchs lediglich diese Spiele als genehmigungsfähig angesehen wurden und eine Genehmigung weiterer Spiele noch nicht absehbar war (MünchKomm/Habersack aaO Rdn. 7; Henssler aaO S. 520; vgl. auch Mugdan aaO S. 359, 362).
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